Am Wochenende wurde im Krypto-Sektor ein neues Schlachtfeld eröffnet. Die beiden größten Krypto-Börsen, Binance und FTX, bzw. dessen CEOs Changpeng Zhao (auf Twitter auch bekannt als CZ) und Sam Bankman-Fried (SBF), sind aneinandergeraten und haben dadurch den ganzen Sektor ins Chaos gestürzt. Die Sorgen waren groß, dass FTX – mit einem täglichen Handelsvolumen von mehreren Milliarden Dollar der zweitgrößte Player hinter Binance – durch Liquiditätsprobleme in die Pleite rutschen könnte.
Erinnerungen an den Sommer sind dadurch bei vielen Anlegern wach geworden, als der Kollaps von Terra Luna zu einem kleinen Massenaussterben am Markt geführt und viele Projekte mit in den Untergang gerissen hat. Doch nun scheint sich der Kampf der Giganten anscheinend bereits entschieden zu haben. Den beide CEOs haben via Twitter verkündet, dass Binance FTX wohl vollständig übernehmen wird!
Doch der Reihe nach…
Binance und FTX haben bereits eine längere Vergangenheit
Binance ist im Bullrun 2017 kometenhaft aufgestiegen und sitzt seitdem als mit Abstand größte Krypto-Börse auf dem Thron des Krypto-Sektors. FTX hat ein wenig länger gebraucht, ist in den letzten zwei Jahren jedoch ebenfalls zu einem der absoluten Big Player aufgestiegen.
Binance hat FTX auf seinem Weg nach oben sogar aktiv unterstützt und ist im Jahr 2019 ein strategisches Investment in das Unternehmen eingegangen. Dabei hat Binance sowohl Unternehmensanteile von FTX erworben als auch eine große Menge an FTT-Token gekauft. FTT ist der Ökosystem-Token der FTX-Handelsplattform, der Nutzern einige Vorteile gewährt.
Allerdings waren die beiden CEOs in ihrer Philosophie sehr verschieden und das hat irgendwann zu einem Bruch geführt. Während FTX stets versucht hat, sehr eng mit Regulatoren zusammenzuarbeiten, hat Binance den komplett anderen Weg gewählt und sich zunächst auf maximales Wachstum konzentriert – ohne sich allzu sehr um nationale Regulationen zu scheren. Erst nach und nach versucht Binance nun mit den jeweiligen Behörden zusammenzufinden.
FTX hat jedoch bis Sommer 2022 alle Unternehmensanteile von Binance zurückgekauft. Am Markt herrschte der Tenor, dass Sam Bankman-Fried Binance aus seiner Firma haben wollte, aufgrund ihrer Weigerung, den Vorgaben der Behörden Folge zu leisten, so wie FTX es anstrebt.
Das hat sich noch weiter zugespitzt, als SBF seine Unterstützung zu einem neuen geplanten Gesetz (hier nachzulesen + Sam Bankman-Frieds Statement auf Twitter) in den USA gezeigt hat, dass es aufgrund seiner strengen Regulatorik dem Krypto-Sektor in Zukunft deutlich schwerer machen könnte zu operieren – vor allem DeFi-Projekte wären betroffen. Am Markt hat die Reputation von SBF dadurch gelitten. Vorher gefeiert, wurde er nun von vielen als „Feind“ der dezentralen Krypto-Bewegung gesehen.
CZ holt zum Schlag aus
Die Philosophie, wie sich der Krypto-Sektor langfristig entwickeln soll und vor allem welche Rolle die Regulatorik dabei spielen soll – das ist sicher ein wichtiges Thema. Doch das einmal beiseite geschoben ist auch vollkommen klar, dass FTX einer der größten – vielleicht sogar DER größte – Konkurrent für Binance ist.
Daher hat Changpeng Zhao eine Blöße genutzt, die sich zuletzt bei FTX ergeben hatte. Ein Bericht des Branchenportals CoinDesk, der sich das Balance Sheet von Alameda Research genauer angeschaut hatte, hat die Sorge am Markt verbreitet, dass es bei Alameda zu Liquiditätsengpässen kommen könnte – aufgrund ihres hohen Engagements in FTT-Token der Börse FTX. Alameda Research ist die von Sam Bankman-Fried gegründete Investment-Firma, die zuletzt eine Menge Krypto-Projekte unterstützt hatte.
Die Tatsache, dass ein großer Teil des Vermögens der Firma aus FTT-Token besteht – die in erheblichen Teilen als Deckung für Kredite genutzt werden – hat die Alarmglocken läuten lassen. Nur etwa ein Drittel des FTT-Supplys zirkuliert frei am Markt – der Rest liegt in großen Teilen bei Alameda. Die Frage war auch, ob die FTT-Käufe von Alameda einen wichtiger Pfeiler für FTX – und damit eine Gefahr – darstellen oder nicht. Das buy-back and burn Programm der FTX-Börse war einer der größten Stabilisatoren für den FTT-Preis.
Kurz gedacht: Sollte Alameda FTT-Bestände veräußern müssen, um Verbindlichkeiten zu bedienen und/oder sollten die Handelsvolumina und Umsätze auf FTX – und damit auch die Nachfrage nach FTT – sinken, dann könnte das eine Todesspirale für den FTT-Preis auslösen – mit allen negativen Folgen für die Liquidität des SBF-Imperiums.
Der CoinDesk-Bericht allein hatte jedoch nicht für große Panik am Markt gesorgt, da sehr unwahrscheinlich war, dass Alameda oder FTX durch diesen Umstand wirklich in Gefahr geraten könnten. Die FTX-Börse war gut besucht und Geld war da – platt gesagt: Der Laden lief. Das haben zumindest die diversen Zusicherungen seitens Sam Bankman-Fried und anderer Verantwortlicher bei FTX und Alameda suggeriert.
Den Stein wirklich ins Rollen gebracht hat ein Tweet von Changpeng Zhao, indem er angekündigt hat, dass Binance seine verbleibenden Bestände an FTT veräußern wollen würde. Die offizielle Begründung: „Post Exit Risk Management“. Binance waren die Gerüchte einer möglichen Insolvenzgefahr also zu heiß und sie wollten ihre Token-Bestände „aus Sicherheitsgründen“ loswerden.
CZ hat es sich jedoch nicht nehmen lassen und noch einen Seitenhieb auf SBF abgefeuert, indem er indirekt klar gemacht hat, dass er jemanden auf keinen Fall unterstützen will, der „hinter deren Rücken gegen andere Teilnehmer der Krypto-Industrie lobbyiert“. Das war eine Anspielung auf SBFs Unterstützung für die im Raum stehenden, besonders strengen Regulierungsgesetze in den USA.
Es war ein wohl kalkulierter Angriff
Nun aber mal Klartext: Mit „Post Exit Risk Management“ hatte diese Aktion nichts zu tun. Warum sollte CZ diese Entscheidung öffentlich auf Twitter verkünden. „Um den Kurs so wenig wie möglich zu beeinflussen, werden wir unsere FTT-Bestände in den nächsten Monaten nach und nach abstoßen“, so der Binance-CEO sinngemäß auf Twitter.
Im Grunde läd er damit sämtliche FTT-Anleger, die den dadurch entstehenden Preis-Druck fürchten, dazu ein, vor ihm zu verkaufen und den Preis so zu drücken, dass Binance das Nachsehen hat.
Nein, CZ dürfte sehr wohl klar gewesen sein, dass er damit die Panik am Markt anstoßen würde, dass FTX wirklich unter Liquiditätsproblemen leidet. Wenn die größte Krypto-Exchange der Welt sagt, dass sie Bedenken bezüglich eines Investments hat und ihren Ausstieg ankündigt, welchen Hinweis brauchen Investoren dann noch, um die Beine in die Hand zu nehmen? Diese Aktion von CZ sollte den Konkurrenten schädigen.
Ein fulminantes K.O in der 1. Runde
Wie unfassbar effizient dieser Schachzug war, können wir jetzt bereits sehen. Von dem Coindesk-Bericht von vor ein paar Tagen wie gesagt noch unbeeindruckt, ist der FTT-Kurs kurz nach dem Tweet von Changpeng Zhao in den Keller gerutscht.
Zunächst haben FTX, die Verantwortlichen bei Alameda und auch Sam Bankman-Fried selbst noch versucht, die Anleger zu beruhigen und versichert, dass genügend Kapital vorhanden ist. Danach ist es jedoch sehr ruhig geworden auf den öffentlichen Kanälen. Gefolgt sind Meldungen, dass die Abhebungsmöglichkeit von Assets auf der FTX-Plattform zunächst eingefroren wurden.
Und kurz danach kam dann der Hammerschlag: Beide CEOs haben auf Twitter angekündigt, dass Binance FTX vollständig übernehmen will.
Wie sich nun herausgestellt hat, waren die Liquiditätslöcher bei FTX doch wesentlich größer als gedacht. Befeuert wurde dies natürlich dadurch, dass die Anleger nach dem CZ-Tweet in Massen ihr Kapital von der Börse genommen haben. Obwohl SBF zuletzt noch das Gegenteil versichert hatte, scheint es zudem auch so, als hätte FTX das Kapital seiner Kunden als Hebel für andere Investments genutzt, um doppelt zu profitieren, so wie es beispielsweise auch der gefallene Krypto-Lending-Riese Celsius getan hatte. Binance hat sich nun angeboten als Retter in der Not in die Bresche zu springen, FTX zu übernehmen und die Liquiditätslöcher zu füllen, damit die Kunden ihr Geld nicht verlieren.
Es ist im Grunde ein Wahnsinn und zeigt, was für ein Wilder Westen dieser Sektor noch ist. CZ hat im Grunde mit einem einzigen Tweet eine Art Bankrun bei FTX ausgelöst, das Vertrauen des Marktes in die Plattform komplett pulverisiert (die einschneidenden Erfahrungen, die viele Anleger im Sommer mit Luna, Celsius und Co. machen mussten, haben dafür ein hilfreiches Fundament gelegt) und im nächsten Schritt dann seinen am Boden liegenden Konkurrenten aufgefressen – durch eine vollständige Übernahme. Ein Blitz-K.O. sozusagen.
Ich will mich damit nicht auf eine Seite stellen. Die Tatsache, dass FTX so einfach zu Fall gebracht werden konnte, zeigt, dass trotz der Beteuerungen der Verantwortlichen, es wäre genug Kapital da, einiges bei der Plattform im Argen lag. Die vielen Beteuerungen seitens Sam Bankman-Fried zum Wohle der Kunden zu handeln, wirken nun doch sehr scheinheilig – umso mehr, wo er nun anscheinend bereits ein paar dieser Tweets gelöscht hat.
Sowohl durch Börsen, die auf ihrem Weg an die Spitze viel zu viel Risiko eingehen, als auch durch CEOs, die ihre Konkurrenz erbarmungslos vom Spielfeld fegen und dabei massive Kollateralschäden bei Anlegern auslösen, ist am Ende weder dem Gesamt-Sektor noch der Reputation von Kryptowährungen gedient. Dieses Ereignis wird auf jeden Fall im negativen Sinne in die Krypto-Historie eingehen. Und der Reputationsschaden sowohl bei Privatanlegern als auch bei den erhofften institutionellen Anlegern dürfte gigantisch sein und den Sektor weit zurückwerfen.
Wie sieht die Marktlage nun aus?
Bei solch einem Kampf der Giganten geht in der Regel nur einer als Sieger hervor. Doch die wirklich Leidtragenden sind am Ende immer die Kunden der Börse. Es ist schon so oft im Krypto-Sektor vorgekommen und letzten Sommer haben wir vor allem am Beispiel Celsius wieder gesehen, wie Anleger durch eingefrorene Konten ihr Geld verloren haben.
Es ist noch nicht sicher, ob die Übernahme von FTX durch Binance wirklich durchgezogen wird und ob Binance damit die Kundengelder sichern kann, indem die Börse in die Bresche springt. Es wäre jedoch wünschenswert für die Kunden und den Gesamtmarkt, da eine komplette Pleite von FTX – ohne dass Binance den Retter spielt – noch erhebliche Folgeschäden nach sich ziehen dürfte. Eine Insolvenz-Welle und ein Marktcrash wie im Sommer nach dem Terra-Luna-Kollaps wäre wohl nicht unwahrscheinlich. FTT-Inverstoren haben jedoch ohnehin das Nachsehen, da der Kurs des Börsen-Tokens um gut 80% abgeschmiert ist.
Leider ist die Gefahr trotzdem nicht gebannt, auch wenn FTX aufgekauft wird. Denn Binance hat sich lediglich bereiterklärt FTX zu retten – und dieser Deal ist noch nicht zu 100% in trockenen Tüchern. Von SBFs Investmentunternehmen Alameda Research war jedoch keine Rede. Und hier liegt ein großes Problem für die Märkte: Alamedas Balance Sheet besteht wie gesagt zu einem großen Teil aus FTT-Token – und diese wurden in großem Umfang als Hinterlegung für Kredite genutzt. Das Collateral für diese Kredite ist mit dem Kollaps des FTT-Tokens nun passé.
Die Frage ist nun, welche Kapitalgeber aus dem Krypto-Sektor es nun wie schwer treffen wird, wenn Alameda dem Markt jetzt sehr wahrscheinlich um die Ohren fliegt. Das besonders Problematische: Nach dem Whipeout im Sommer sind viele Kapitalgeber bereits schwer angeschlagen, da sie durch die Implosion von Celsius, Three Arrows Capital und auch einigen bankrottgegangenen Mining-Unternehmen bereits deutliche Verluste verkraften mussten.
Dass der Markt sich diesbezüglich erhebliche Sorgen macht, sieht man an der Reaktion im Verlaufe dieses in die Krypto-Historie eingehenden Tages. Bitcoin hat seinen Support bei 20.000 Dollar eingebüßt und mit einem zwischenzeitlichen Absturz bis auf die Marke von 17.000 Dollar ein neues Tief in diesem Bärenmarkt gezeichnet.
Was wir als Anleger daraus lernen können
Investieren ist immer ein Risiko und das gilt vor allem, wenn man auf unregulierten Krypto-Börsen handelt. Doch eines der größten Risiken ist auch gleichzeitig eine der größten Stärken des Krypto-Sektors: Krypto-Assets sind nicht – so wie staatliche Währungen – lediglich Schuldeneinträge in einem zentralen Register bei einer Bank.
Es sind – zumindest virtuell – tatsächlich vorhandene Vermögenswerte, die man frei bewegen kann. Und das sollte man auch – und zwar in eine eigene Wallet, die nur unter der eigenen Kontrolle und nicht unter der Verwahrung einer Börse steht. Der fundamentale Nutzen vieler Projekte mag oft fragwürdig – und letzten Endes im eigenen Ermessen des Investors – sein, doch dieser jüngste Vorfall, auch wenn er nun hoffentlich glimpflich auszugehen scheint, zeigt wieder, dass man die Fähigkeiten von Krypto-Assets auch nutzen sollte und bei einem langfristigen Investment die eigenen Token immer auch in einem eigenen Wallet parken sollte.
Bei den meisten Krypto-Assets ist man zudem gar nicht auf die großen und zentralisierten Börsen angewiesen. Sobald man einmal in den Besitz von Krypto-Assets gelangt ist und diese auf dem eigenen Wallet geparkt hat, kann man sie auch über dezentrale Plattformen handeln. Ja es ist schwierig und kompliziert. Die Einarbeitung benötigt – vor allem für Anfänger – eine Menge Zeit und Energie. Doch man ist immer im Besitz seiner Assets und hat die volle Verwaltungshoheit. Etwas, dass man in der traditionellen Welt (und auch bei zentralisierten Krypto-Börsen) nie von seinen Assets behaupten kann, sei es bei Devisen, Aktien oder Anleihen.
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