Ethereum nach dem Merge: Der „Netscape“-Moment und die aktuellen Risiken

Titel: Ethereum nach dem Merge: Der „Netscape“-Moment und die aktuellen Risiken

Es ist nun knapp einen Monat her, dass das Ethereum-Netzwerk sich erfolgreich dem Merge unterzogen und seinen Konsensmechanismus von Proof of Work zu Proof of Stake gewechselt hat.

Auf der preislichen Ebene kann man mittlerweile das Fazit ziehen, dass der Merge tatsächlich ein „Buy the Rumour, Sell the News“-Event war. Von der Rally, die im Zuge des Events durch die freudige Erwartungshaltung der Anleger angefacht wurde, ist nichts mehr übriggeblieben.

Der Kurs hat den Aufwärtstrend, der sich seit Mitte Juni etabliert hatte, aufgeben müssen und Ethereum ist bis zurück in die Nähe der Tiefs gefallen. Positiv anzumerken ist lediglich, dass sich der 200-Wochen-Trend nun bereits seit mehreren Wochen als maßgebliche charttechnische Unterstützung erwiesen hat.

Wird man vom Merge später als „Netscape“-Moment sprechen?

Eine vernünftige Betrachtung aus der Investment-Perspektive lässt sich auf den Merge ohnehin nur aus langfristiger Perspektive machen, denn der Merge hat lediglich als erster, jedoch umso wichtigerer Schritt dahin gedient, das Ethereum-Netzwerk so skalierbar zu machen, dass es auf globaler Ebene als dezentrales Betriebssystem für Anwendungen aller Art genutzt werden kann.

Die operativen Auswirkungen in Sachen Transaktionsgeschwindigkeit wird man erst in den kommenden Monaten und Jahren bemerken, wenn die kommenden Updates ebenfalls implementiert wurden.

Auswirkungen auf das Angebot von Ethereum haben sich aufgrund der Konsens-Umstellung allerdings relativ sofort bemerkbar gemacht: Die Neuerzeugungsrate von Ether ist seit dem Merge massiv zurückgefallen, auch wenn Ethereum bisher noch nicht deflationär geworden ist.

Wie von der website ultrasound.money visualisiert, hat sich das Supply von Ether seit dem Merge um etwa 300.000 Ether erhöht. Somit ist das Gesamt-Supply um 0,12% gestiegen. Zum Vergleich: Die Bitcoin-Umlaufmenge hat sich im selben Zeitraum um 1,7% erhöht. Wäre Ethereum weiterhin mit dem Proof of Work Konsensmechanismus unterwegs, hätte sich die Ether-Umlaufmenge seit dem Merge-Datum um 3,7% erhöht.

Die derzeitige Preisentwicklung zeigt jedoch, dass das geringer gewordene Neuangebot noch nicht auf eine höhere Nachfrage gestoßen ist und sich entsprechend positiv auf die Preisentwicklung von Ether auswirken konnte. In der Nachbetrachtung stellt sich die weiterhin schwierige makroökonomische Lage als zu großer Faktor heraus, als dass ein erfolgreicher Merge allein zu einer Entkopplung der Preisentwicklung und zu einem neuen Bullenmarkt für Ethereum und den ganzen Sektor hätte führen können.

Dennoch könnte der Merge in Zukunft eine wohlwollende Betrachtung durch die Anleger erfahren und sich nach Verstreichen von etwas mehr Zeit seinen Titel als „Netscape“-Moment für den Krypto-Sektor verdienen.

Mit dem „Netscape“-Moment ist eine Anspielung auf die Anfänge des kommerziellen Internets gemeint. Netscape war der erste Browser, mit dem Privatleute im Internet gesurft sind und an einem gewissen Punkt hatte der Browser eine Marktdominanz von 90 Prozent. Als die dahinterstehende Firma im Jahr 1995 an die Börse gegangen ist, erreichte sie in Windeseile eine Bewertung von Drei Milliarden Dollar – damals in Relation gesehen eine viel stolzere Summe, als es heute der Fall wäre – und hat damit sozusagen die Dotcom-Manie der späten 90er und der frühen 2000er eingeleitet.

Netscape hat mit seinem Börsengang die breite Öffentlichkeit dem Internet bekannt gemacht und damit auch all die Möglichkeiten, die auf die Nutzer im Web gewartet haben und von vielen verschiedenen Firmen aus dem Silicon Valley konzipiert und aufgebaut worden sind.

Wenn man von einem „Netscape“-Moment für Ethereum als Infrastruktur spricht, heißt das also, dass der Merge aufgrund der nun möglichen und notwendigen Skalierung den Weg frei machen wird für das Web3 und die Blockchain-Technologie mit ihren vielen Anwendungen, die das derzeitige Internet-Ökosystem langfristig ersetzen können.

Leidet die Dezentralisierung von Ethereum nach dem Merge unter Problemen?

Auch was die Dezentralisierung angeht, hat der Wechsel des Konsens-Modells zu einigen Veränderungen geführt. Es sind nun nicht mehr die Miner, die neue Blöcke erzeugen, sondern mit dem PoS-Modell sind sogenannte Validatoren dafür verantwortlich, neue Blöcke zu erzeugen und sich gegenseitig zu überprüfen. Dazu müssen sie eine Menge an 32 Ether pro Validator-Slot hinterlegen (staken).

Wie Daten von explorer.btc.com zeigen, gibt es eine relativ große Zentrierung der Staking Pools. Der mit 30% mit Abstand größte Stakeholder ist die DAO-Plattform Lido. Lido ist eine dezentrale autonome Organisations-Plattform und erlaubt es jedem, beizutreten und die eigenen Ether in den Staking-Pool zu geben. Der größte Stakeholder ist also dezentralisiert, dennoch nimmt er eine große Position ein.

Ein weiterer großer Teil des Netzwerks wird von den Staking Pools großer Exchanges kontrolliert. So folgen nach Lido die Branchen-Giganten Coinbase, Kraken und Binance, die zusammen ebenfalls knapp 30% der Staking-Power auf sich vereinen.

Grob gesagt heißt das, dass 60% des Netzwerks von großen Entitäten gesteuert werden und das gibt zumindest potenziell Raum dafür, dass diese Entitäten eine zu große Kontrolle über den Konsens des Ethereum-Netzwerks einnehmen könnten.

Hier muss man jedoch relativieren und dazu sagen, dass das Ethereum-Netzwerk im Vergleich zu irgendeiner Organisation im traditionellen Finanzsystem oder der digitalen Ökonomie immer noch sehr dezentral aufgestellt ist.

Nodes in Cloud-Speichern als potenzielles Risiko?

Ein weiteres potenzielles Risiko besteht darin, dass eine signifikante Menge von Ethereum Full Nodes – also Nodes, die die gesamte Blockchain-Historie abbilden und archivieren – auf zentralisierten Cloud-Umgebungen betrieben werden.

Laut einer Studie der Krypto-Datenanalysefirma Messari aus Sommer 2022 werden 65% aller Ethereum Full Nodes in zentralisierten Datencentern abgewickelt. Heißt, die Betreiber dieser Nodes nutzen beispielsweise Anbieter wie Amazon Web Services für die Speicherung. Von diesen 65% werden zwei Drittel bei lediglich drei großen Anbietern betrieben: OVH, Hetzner und Amazon Web Services.

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Der Bericht wirft die Frage auf, ob Amazon Ethereum angesichts der Konzentration von 1.487 von 4.653 aktiven Knoten in seinen „Händen“ irgendwie manipulieren könnte. „Aufgrund der hohen Kosten für den Betrieb der Infrastruktur ist es wahrscheinlicher, dass die Nodes ihre Infrastruktur bei Cloud-Computing-Anbietern, beispielsweise Amazon Web Services betreiben, wodurch Ethereum anfälliger für zentrale Fehlerquellen wird“, heißt es von Messari.

Blickt man auf die geographische Lage der Netzwerk-Verteilung, tritt ein weiterer potenzieller Angriffspunkt auf: Daten von Ethernode zeigen, dass 43% aller Nodes in den USA und 12% aller Nodes in Deutschland beheimatet sind. Sollten entsprechende Gesetzesänderungen oder eine verschärfte Regulierung in diesen Ländern kommen, könnte dies das Netzwerk ebenfalls vor neue Herausforderungen stellen.

Quelle: https://ethernodes.org/countries

Warum könnte Ethereum gerade für Amazon ein Dorn im Auge sein?

Amazon ist mittlerweile sehr stark im Cloud-Geschäft unterwegs, doch die Konkurrenz ist groß. Die größte Konkurrenz könnte jedoch nicht von Seiten anderer Unternehmen wie Microsoft und Co. kommen, sondern durch Ethereum.

Ethereum und AWS bieten im Grunde ähnliche Dienstleistungen an: Eine Infrastruktur für den Aufbau von digitalen Anwendungen wie Websites oder Apps und so weiter. Jedoch mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass man bei Amazon seine Daten in die Hände eines einzelnen Unternehmens legt, welches zu einem gigantischen Player in der globalen digitalen Ökonomie herangewachsen ist und eine enorme Preismacht, Marktgestaltungshoheit und generell Kontrolle über weite Teile der digitalen Ökonomie hat.

Mit Ethereum als Infrastruktur haben Anwender einen hohen Grad an Autonomie, und keinerlei Zugangsbeschränkungen außer den ökonomischen Kosten. Perspektivisch kann Ethereum zu einer gefährlichen Konkurrenz werden, da durch den Merge für die nötige Skalierung nun der Boden bereitet wurde.

„Wir übernehmen nur das Management der Hardware oder der Knoten, je nachdem welches Modell man wählt, von den Kunden. Das dezentrale Modell bleibt bestehen, weil die Chain an sich dezentral ist“, sagt Michael Hanisch, Head of Technology, in einem Interview gegenüber trendingtopics.eu. Es ist angesichts des Arguments der perspektivischen Konkurrenz jedoch denkbar, dass Amazon nur allzu kooperativ sein könnte, sollte die US-Regierung aufgrund neuer regulatorischer Bestimmungen zu Maßnahmen gegenüber dem Ethereum-Netzwerk greifen – auch wenn ein Vorgehen gegen die Exchanges und anderen Dienstleister, die für die kritische Handels-Infrastruktur des Krypto-Sektors relevant sind, wahrscheinlich am Ende schmerzhafter wäre.

Regulatorische Probleme mit der US-Börsenaufsicht?

Damit schlagen wir direkt den Bogen zu einem weiteren potenziellen Problem: der US-Börsenaufsicht SEC. Unter dem bisherigen Konsensmechanismus Proof of Work wurde Ethereum, genau wie Bitcoin, bisher nicht von der Behörde als Security – also als Wertpapier – eingestuft, sondern als Commodity (Ware, Rohstoff). Durch den Wechsel zu Proof of Stake will der SEC-Chef Gary Gensler jedoch neue Argumente dafür gefunden haben, Ethereum als Security einstufen zu können.

Haupt-Kriterium ist dabei der sogenannte Howey-Test, der ein Asset als Wertpapier kategorisiert, wenn es den Test besteht. Laut dem US-Wertpapiergesetz sind alle Herausgeber von Wertpapieren dazu verpflichtet, sämtliche Angebote, bzw. Käufe und Verkäufe von Wertpapieren bei der SEC zu melden. Der Howey-Test fragt folgende Kriterien für einen Vermögenswert ab:

  1. Wird Geld investiert?
  2. Fließt das investierte Geld in ein gemeinschaftliches Unternehmen?
  3. Besteht eine Gewinnerwartung?
  4. Sind Dritte oder die Unternehmer selbst für das Erwirtschaften von Gewinn verantwortlich?

Nach dem Wechsel zu Proof of Stake argumentiert die SEC, dass Ethereum nun alle Kriterien des Howey-Tests erfüllt:

  1. Validatoren investieren durch den Akt des ETH-Stakings Geld.
  2. Sie verfolgen zudem mit der Konsensfindung ein „gemeinsames Unternehmen“.
  3. Die Staking-Belohungen entsprechen Gewinnen.
  4. Die Gewinne werden von Dritten, bzw. den Teilnehmern des Netzwerks erwirtschaftet.

Punkt 1 und Punkt 3 sind valide, jedoch ist die Auslegung für die anderen beiden Punkte äußerst abstrakt und für das Ethereum-Netzwerk nur schwer zutreffend. Das dürfte der Börsenaufsicht jedoch egal sein, da die Antipathie gegen ein dezentrales Netzwerk, welches die traditionellen Strukturen der Regierung potenziell infrage stellen kann, deutlich sichtbar ist und der Hauptgrund für ein regulatorisches Vorgehen sein dürfte. Das Ziel, amerikanische Investoren zu schützen, ist hinter dieser Aktion nur schwer erkennbar.

Es bleibt vorerst offen, ob Ethereum nun als Wertpapier eingestuft wird oder nicht und was das für Auswirkungen vor allem auf den Krypto-Sektor in den USA haben wird. Klar ist jedoch, dass regulatorische Maßnahmen kommen werden und das Ringen der traditionellen Gewaltenstrukturen mit der dezentralen Welt gerade erst begonnen hat.

Wie geht es weiter für Ethereum?

Der Merge war wie gesagt nur der Grundstein für weitere Updates, die die Skalierung und Netzwerkeffizienz von Ethereum massiv verbessern sollen. Der nächste Meilenstein steht mit dem sogenannten Sharding an, bei dem das Netzwerk in mehrere Shard-Chains unterteilt werden soll und somit die simultane Verarbeitung von Transaktionen möglich machen soll. Es wird für Sommer 2023 erwartet, es gibt jedoch bisher kein genaues Datum.

Weitere Aufschlüsse liefert diese Timeline, die auf medium.com geteilt wurde:

Quelle: https://medium.com/@Ground_Zero/gz-daily-the-merge-surge-verge-purge-and-splurge-of-the-ethereum-blockchain-b1a9e95ff28d


Preislich dürfte Ethereum – genauso wie der Rest des Krypto-Sektors – weiterhin im Bann der makroökonomischen Ereignisse bleiben. Sobald eine allgemeine Markterholung eintritt und wir wieder eine bullischere Phase an den Märkten sehen, könnte der Effekt auf Angebot und Nachfrage, den der Merge durch die Veränderung der Neuerzeugungsrate herbeiführt, auch preislich voll zum Tragen kommen und Ethereum zu neuen Allzeithochs führen.

Der erfolgreich abgeschlossene Merge rechtfertigt nun eine stärkere fundamentale Bewertung des Netzwerks, da eine effiziente Skalierung auf globaler Ebene für Ethereum nun ein ganzes Stück realistischer geworden ist.

Weitere Infos:

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Disclaimer: Die Inhalte dieses Artikels dienen ausschließlich der Information und stellen weder eine Anlageberatung oder sonstige Empfehlung dar noch sind sie als Zusicherung etwaiger Kursentwicklungen zu verstehen. Sie ersetzen nicht die selbständige, sorgfältige Prüfung und eingehende Analyse des Investments (Due Diligence), sowohl in Bezug auf seine Chancen als auch auf seine Risiken und ihre persönliche Tragbarkeit. Die Informationen stellen ausdrücklich keine Aufforderung zum Kauf, Halten oder Verkauf von Finanzinstrumenten oder anderen Anlageprodukten dar. Die geäußerten Ansichten geben allein die Meinung des Autors wieder. Weder der Autor noch decentralist.de haften für Verluste oder Schäden irgendwelcher Art, die im Zusammenhang mit dem Inhalt des Artikels oder einem auf der Grundlage der darin enthaltenen Informationen getätigten Investment stehen.

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Disclaimer auf Deutsch: Der Krypto-Sektor jenseits von Bitcoin ist ein verdammtes Casino. Einzelne Coins können zwar komplett durch die Decke gehen, das Risiko eines Totalverlustes ist jedoch auch an der Tagesordnung. Altcoins haben in den meisten Fällen nichts mit Investments zu tun, sondern sind viel mehr reine Spekulation. Wenn ihr am Casino-Tisch Platz nehmt, dann macht ihr das auf eigene Gefahr. Ich zeige hier, wie ich im Krypto-Sektor unterwegs bin und welche Strategien ich benutze, weil ich das Thema liebe und gerne darüber spreche. Ihr könnt mit den Informationen machen, was ihr wollt, ihr seid erwachsen – eine Empfehlung von meiner Seite ist es definitiv nicht. Ich empfehle gar nichts, jeder Mensch sollte eigene, auf ausführlicher Recherche, gesundem Menschenverstand und individueller Risikoabwägung basierende Entscheidungen darüber treffen, was man mit seinem eigenen Geld machen möchte.